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Ein Leben an der US-Westküste

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Gretas Lebensgeschichte hat mich besonders berührt. Sie hat viele Wege ausprobiert, immer wieder neu Angefangen und unzählige Schwierigkeiten gemeistert.

Aufgewachsen in San Francisco

Greta ist als Jüngste mit zwei Brüdern und einer Schwester in San Francisco aufgewachsen. Ihr Vater, welcher im 2. Weltkrieg kämpfte, starb an Lymphknotenkrebs, als sie vier Jahre alt war. Ihre Kindheit war danach alles andere als behütet. Ihre Mutter konnte nie die Rolle einer Mutter ausfüllen. Der älteste Bruder heiratete schon bald und zog aus. Die drei jüngeren Kinder wurden von ihrer Mutter alleine aufgezogen. Greta erinnert sich, wie sie von ihren Brüdern durch ein offenes Fenster in der Nachbarschaft gehoben wurde, wie sie dann von innen die Türe öffnete und die Brüder so ins Haus einbrechen konnten um kleiner Dinge zu stehlen. Als Greta in der 6. Klasse war, heiratete ihre Mutter einen alkoholabhängigen und pädophilen Ex-Marine. Von ihrem Stiefvater lernte sie mit neun Jahren das Rauchen, Alkohol trinken, Schiessen und Fischen und kurz darauf auch das Autofahren. Die Ehe zwischen ihrer Mutter und dem Stiefvater hielt nur ein paar Jahre.
Im Alter von etwa 9 Jahren löste sie an einer Strassenecke den Feueralarm aus. Die Feuerwehr kam und Greta stand noch immer da. Auf die Frage, wo es denn brenne, antwortete sie wahrheitsgetreu: «Ich wollte nur testen, ob ihr wirklich ausrückt».
Für die Junior High School, 7. bis 9. Klasse, musste sie in eine weiter entfernte Schule. Ihre Mitschülerinnen und Mitschüler waren mehrheitlich People of Color. Als weisses Mädchen in der Minderheit erlebte sie Diskriminirung von ihren schwarzen Mitschülerinnen. Im Schulbus wurde sie verprügelt, deshalb ging sie danach jeweils den ganzen langen Schulweg zu Fuss. Auf die Toilette traute sie sich aus Angst vor ihren Mitschülerinnen nicht mehr. In der Schule lief es nicht gut. Von ihrer Mutter gab es keine Unterstützung und sie rutschte immer mehr in Alkohol und Drogen ab. Die Sommer verbrachte sie bei ihrem Onkel auf dem Hof, wo sie die Freude an Motoren und der Mechanik fand. In der Schule tauchte sie nur noch selten auf.
In den Junior High School Jahren befreundete sie sich mit einer Mitschülerin und verbrachte viel Zeit mit deren Familie. In dieser Zeit machte sie die Erfahrung, wie es ist eine Familie zu haben, etwas was sie vorher nicht kannte. Doch noch immer war ihr Leben geprägt von Alkohol und Drogen. Zweimal landete sie in der Notaufnahme wegen einer Überdosis. Sie wurde zu einer Psychologin geschickt, doch das war für sie nur eine weitere erwachsene Person, der sie nicht trauen konnte. Mittlerweile lebte sie wieder alleine mit ihrer Mutter und sie zogen nach Oregon, um näher bei ihren Tanten zu sein. Ihre Mutter wollte die Alkoholprobleme ihrer Tochter nicht wahr haben und hatte immer Bier oder Whiskey im Haus. Nach zwei Jahren High School in Oregon schloss sie diese ab und verliess am Tag darauf Oregon, um zurück nach San Francisco zu gehen. Weil ihr Vater als Veteran gestorben war, erhielt sie ein Stipendium für zwei Jahre College. Diese Unterstützung nahm sie gerne an - nicht um in die Schule zu gehen, aber das Geld war willkommen.
Obwohl San Francisco die Hauptstadt der Gay-Community war, wurden homosexuelle Menschen verprügelt und teilweise sogar aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ermordet. Auch Sie verkehrte oft in Gaybars. Sie lebte wieder mit ihrer befreundeten Familie zusammen, doch nach einem Jahr am College endete das für sie. Gewalt und Drogenprobleme nahmen überhand.
Sie erhielt die Chance bei einer Zahnarztfamilie in Turlock CA unterzukommen. Dort reinigte sie die Zahnarztpraxis und kam in Kontakt mit einer sehr religiösen Familie, die in der Jesus-Freaks-Bewegung war. Doch auch hier landete sie nach einer Überdosis für einen Monat in einer Entzugsanstalt. Nach diesem Aufenthalt schloss sie sich den Agape Force an. Nach einem Trainingsprogramm und vielen auswendig gelernten Bibelsprüchen war sie bereit für die Missionsarbeit. Zu viert fuhren sie mit einem Van durchs Land, verkauften religiöse Musik-LP‘s und brachten die Jesus-Geschichten zu den Haustüren. Etwa anderthalb Jahre zog sie durchs Land mit dieser Botschaft. Doch als es darum ging Gretas Homosexualität zu heilen, was natürlich nicht gelang, beendete sie ihre Karriere als Gottesdienerin. Zurück bei der Zahnarztfamilie, welche mittlerweile in Los Angeles lebte, begann sie ein College als Zahntechnikerin und schloss dieses nach zwei Jahren ab. Als sie dann jedoch im Labor arbeitete und Gebisse herstellte, kam sie zu oft mit Blut in Kontakt, was sie überhaupt nicht vertrug.

Emissionstest für den Graumarkt

Danach folgte eine Zeit mit viel Alkohol aber ohne Arbeit. Eines Tages sprach die Sekretärin eines Emissionstest Centers Greta an und riet ihr, sich als Fahrerin zu bewerben. Ausländische Fahrzeuge, welche in die USA importiert wurden, mussten von zwei Bundesbehörden bewilligt werden: Abgastest für die EPA und für das Department of Transportation mussten kleine Umbauten an den Lichtern vorgenommen werden. Die Autos wurden umgebaut, fotografiert und wieder in den Originalzustand zurückgebaut. Die Fotos wurden den Behörden eingesandt und die Zulassung wurde bewilligt. Mit der Zeit entstand ein ganzes Lager an Fotos für verschiedene Fahrzeuge und so wurden auch oft Fotos von anderen Autos des gleichen Typs erneut eingesandt. Für den Abgastest wurden die Fahrzeuge auf ein Rollband gestellt und es musste gemäss Protokoll beschleunigt und gebremst werden. Während diesem Prozess wurden die Abgase am Auspuff gemessen. Greta war so gut im Fahren und kannte die Prozedur in- und auswendig, dass man ihr den Bildschirm mit den Anweisungen auch ausschalten konnte und sie war trotzdem voll auf Kurs. Die gesammelten Abgase wurden dann mit anderen Gasen verdünnt, bevor sie ins Testgerät eingeführt wurden. Zu Beginn gaben sie sich Mühe, die Tests gut zu fälschen, doch je längers je mehr wurden sie nachlässig und druckten die Blätter nur mehrfach aus und korrigierten von Hand die Fahrzeugnummern. Bezahlt wurde sie bar und mit Drogen und Alkohol. Es war eine wilde Zeit: zum Frühstück gab's Kaffee mit Whisky, zum Mittagessen Kokain, am Nachmittag Cocktails und Bier zum Feierabend. Als sie einmal ihren Chef verprügeln wollte, brach sie sich die Hand. Im Spital erzählte sie dann die Geschichte von einem Unfall in der Autowerkstatt, damit die Arbeitsversicherung bezahlte. Ihr Chef, das geplante Opfer der Prügelei, unterstützte diese Geschichte bereitwillig. Auch Nachtschichten gab es. Wenn um 1:30, kurz bevor die Läden schlossen, der Alkohol ausging, fuhr Greta mit einem Porsche 930 Turbo, dem Auto eines Kunden, in die Stadt, um Nachschub zu holen. Nach zwei Jahren witterte das FBI den Betrug. Sie erschienen am Tag und konfiszierten einige Dokumente und schlossen den Zaun zum Firmen-Gelände ab. In der nachfolgenden Nacht arbeitete Greta, einige Kunden erschienen und wollten ihre Autos in Sicherheit bringen. Greta und ihre Mitarbeiter waren stark betrunken. Einer der Kunden zog eine Pistole, Greta öffnete den Schrank mit den Autoschlüsseln und bot ihm an alle Autos zu nehmen, aber sie könne das Tor zum Gelände nicht öffnen. Daraufhin zogen sie wieder ab, ohne Autos. Das FBI stellte Greta vor die Wahl, gegen ihren Chef auszusagen oder selbst angeklagt zu werden. Da sie den Job nur wegen des Geldes, also um sich über Wasser zu halten gemacht hatte, entschied sie sich für die Zusammenarbeit mit dem FBI und half ihnen die beschlagnahmten Akten zu verstehen. Ihr Chef bezahlte später eine hohe Geldstrafe, musste aber nicht ins Gefängnis.

Zweiter College Abschluss als Automechanikerin

Nach diesen Erfahrungen in der Autoindustrie bewarb sie sich bei einem Autokonzern, doch ohne eine Ausbildung als Mechanikerin erhielt sie die ausgeschriebene Stelle nicht, was sie dazu motivierte noch einmal ans College zu gehen und sich zur Mechanikerin ausbilden zu lassen. Zudem wurde sie in dieser Zeit mithilfe der Anonymen Alkoholiker trocken. Kein Alkohol, keine Drogen. Dafür hatte sie drei Jobs. Sie fuhr einen Bus zum Flughafen, arbeitete als Gärtnerin und zählte die Fahrzeuge an Kreuzungen. Ein Lehrer verhalf ihr zu einer Stelle im Autoverkauf. Es war schrecklich, sie musste eine Statistik erstellen über die häufigsten Probleme, welche den Servicestellen zugetragen wurden. Dazu kamen Kleidervorschriften, die sie nicht erfüllen konnte. Sie war eine Mechanikerin und trug immer Jeans und T-Shirt, für andere Kleider fehlte das Geld. Von Freunden musste sie sich Blusen und Hosen ausleihen, um adäquat angekleidet zu erscheinen. Nach einem Jahr meldete sich ein ehemaliger Mitarbeiter von der illegalen Testfirma. Er arbeitete in der Technikabteilung eines Autokonzerns und sie hatten eine offene Stelle für einen Fahrer bzw. eine Fahrerin.
Wieder auf dem Rollband, um verschiedene Tests durchzuführen, damit begann Gretas Karriere als Mechanikerin. Angefangen hat sie im Emissionstestcenter. Getestet wurden insbesondere eigene Prototypen und Konkurrenzmodelle anderer Marken. Ihren ersten On-Road-Test fuhr sie mit einem kleinen sportlichen Auto. Ein Prototyp zusammengeklebt mit Duct Tape und allerlei Messinstrumenten. Es ging darum die Höchstgeschwindigkeit herauszufinden. Eine Nebenstrasse in der Wüste schien geeignet dazu. Die Beschleunigung des Fahrzeugs war sehr gemächlich, doch schlussendlich erreichte sie 160 km/h, als ein Warnschild für einen Bahnübergang am Strassenrand erschien. Für den Test musste die Höchstgeschwindigkeit für eine Zeit lang gehalten werden, daher presste sie den Fuss fest aufs Gaspedal und fuhr unerschrocken über die Bahngleise. Der kleine Wagen hob ab und landete krachend auf der anderen Seite. Die Testdaten waren gesammelt und beide Insassen blieben unversehrt.

Vom kleinen Testcenter zum grossen Konzern

Schlussendlich arbeitete Greta 27 Jahre für denselben Autokonzern. Obwohl sich in dieser Zeit viel geändert hat in der Berufswelt, war sie all die Jahre die einzige weibliche Mechanikerin. Gegen Ende kam dann auch noch die ganze Bürokratie hinzu. Es war nicht einmal mehr möglich einen einfachen Ölwechsel an einem Auto durchzuführen ohne drei Formulare auszufüllen, um garantiert sicher zu gehen, dass die Firma nicht verantwortlich ist, wenn ein Fehler passiert und das Auto zum Beispiel Feuer fangen würde. (In den Anfangsjahren hatte Greta das Öl noch mit brennender Zigarette im Mund gewechselt.) Neben vielen kleinen Tests hatte sie einige grosse Projekte. Dazu zählte die Entwicklung eines Katalisators, um die Ozonemissionen zu reduzieren. Das hat schlussendlich geklappt, wurde aber aus ökonomischen Gründen nicht eingebaut. Zudem hat sie die Diesel Trucks studiert, um in Amerika einen Pick-Up mit Dieselmotor auf den Markt zu bringen. Auch dies wurde nie umgesetzt. Ein kleinerer Truck, welcher 1995 zum ersten Mal verkauft wurde, fuhr sie zu Testzwecken seit 1992 und hat die gesamte Markteinführung und viele Updates miterlebt. Um reale Daten über die Zugfahrzeuge und die genutzten Anhänger zu erhalten, hat sie zwei Tage an einer steilen Bergstrasse verbracht und die Geschwindigkeit der Trucks mit Anhänger gemessen. Dies war mit den Behörden abgesprochen und genehmigt worden. Als der Sherif anhielt für eine kurze Kontrolle war nach wenigen Sätzen alles geklärt. Doch später erschien auch noch eine Highway Patrol. Die Beamtin nahm es sehr ernst und schritt mit der Hand an der Waffe auf Greta und ihren Mitarbeiter zu. Dieser bediente gerade die Geschwindigkeits-Messpistole, welche vielleicht mit einer echten Pistole verwechselt werden konnte. Zum Glück hat sich auch das mithilfe der Papiere und Bewilligungen geklärt.

Kältetest in Kanada

Jedes Jahr im Januar fuhr Greta für einige Wochen nach Ontario Kanada, um die Autos in extremer Kälte zu testen. Weil es in Kanada keine asiatischen Lebensmittel zu kaufen gab, brachte sie jeweils Reis und Zigaretten für ihre fern östlichen Kollegen aus den USA nach Kanada. Im Auftrag der Firma wohl gemerkt. Auf dem Rückweg brachte sie dafür einige kubanische Zigarren in die USA. Erwischt wurde sie zum Glück nie. Nur einmal hatte sie Problem an der Grenze und wurde in den Nebenraum gebeten. Weil sie einen sehr frühen Flug gehabt hatte, verliess sie das Hotel ohne Frühstück dafür mit einem Apfel aus der Lobby, dieser wurde ihr fast zum Verhängnis.

Frühzeitige Pensionierung

Ihr Testcenter wurde im Jahr 2017 nach Texas verlegt. Den Umzug in den Süden wollte Greta nicht mitmachen und liess sich deshalb etwas früher pensionieren. Zusammen mit ihrer Frau zogen sie aufs Land. Nach drei Jahrzehnten Grossstadt waren sie nun in einer ländlichen konservativen Gegend mit vielen Trumpfahnen vor den Häusern angekommen.
Mit der Pensionierung ging für Greta eine grosse Änderung einher. Sie verlor an Gewicht, obwohl sie viel ass. Ein Jahr lang wurde sie auf alle möglichen Krankheiten getestet, doch die Medizin fand nichts. Sie fühlte sich unglücklich und hatte Angst zu sterben, war aber nicht bereit dazu. Zu sehr war sie im Unreinen mit sich selbst. Diese innere Unruhe wollte sie zuerst lösen. Schlussendlich landete sie bei Doktor T., einer Psychologin. Durch Gespräche mit ihr kam sie zur Meditation, zum Achtsamkeitstraining und zu Fokusübungen. Sie könne es nicht erklären, wie es funktioniere, und sie sei auch nicht gut in den Übungen, doch es habe ihr geholfen. Dazu kamen die Nähe zu den Bergen, das Leben auf dem Land und die Spaziergänge mit dem Hund. Alles zusammen hat sie dazu gebracht ihr eigenes Leben zu überdenken. Die Pensionierung sei wohl ihr letzter Lebensabschnitt, aber gerade deshalb möchte sie auch diesen Teil geniessen und aktiv mitgestalten. Mittlerweilen fühlt sie sich viel besser als noch vor zwei Jahren. Sie versuchte auch ihre Beziehung zu retten durch ihre Veränderung, doch das schlug eher auf die andere Seite aus. Ihre Partnerin konnte und wollte diesen Weg nicht mitgehen. Sie lebten sich je länger je mehr auseinander. Mit Corona und der unterschiedlichen Risikobereitschaft sich selbst einzuschränken, zerbrach die Partnerschaft.

Corona

«Jetzt da mein Leben so gut ist, ich bin pensioniert und körperlich fit, die Scheidung ist vollzogen, ich habe ein schönes Haus mit Werkstatt und Aussicht in die Berge und ich lebe in der Nähe meiner Familie und Freunde… jetzt möchte ich nicht an Corona sterben,» sprach Greta. Das Social Distancing war kein grosses Problem für sie. Ihr wurde nicht langweilig. Im und ums Haus gibt es immer etwas zu tun. Wenige Tage später war sie positiv auf Corona getest. Angesteckt in ihrer kleinen Covid-bubble. Da war sie nun die Ungewissheit und Angst vor einem schweren Verlauf. Ironischerweise hat sie sogar noch kurz davor den Besuch eines Cousins verweigert mit der Begründung die Kontakte einzuschränken. Zum Glück musste sie nicht ins Spital und ist nun nach einem Monat wieder fast komplett genesen.

Zukünftige Projekte

Voller Zuversicht blickt sie nun in die Zukunft. Sie kann das Haus auch alleine behalten. Es bahnt sich eine neue Beziehung an und die Liste mit Projekten ist lang: Ein Treibhaus um Gemüse zu pflanzen, das Anlegen eines Brennholzvorrats für den nächsten Winter und Bäume pflanzen im Garten, welche auch mit der Trockenheit hier in der Wüste auskommen. Dazu kommen einige Reisen in den USA.

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